Laaaaaangzeitbelichtungen - Bilder aus Dosen
13 17 Share TweetLangzeitbelichtungen mit Pinhole-Kameras können schnell zu einer Geduldsprobe werden, wenn man die jeweilige Belichtungszeit abwarten muss. Ein Meister der Geduld ist Jens Edinger, er hat Langzeitbelichtungen über mehrere Monate mit Hilfe von ganz speziellen Kameras gemacht – Pinhole-Dosen!
Hallo Jens, schön dich kennenzulernen. Magst du dich kurz vorstellen?
Hallo, ich bin Jens, 42 Jahre alt und lebe in München. Seit 27 Jahren ist die Fotografie mein liebstes Hobby. Ich fotografiere nahezu mit allem, was ein Lichtbild erzeugen kann. Seit einigen Jahren auch wieder analog. Ein Schwerpunkt liegt bei mir im Experimentieren mit Aufnahmetechniken und sehr seltenen Materialen, also Entwicklerpapieren oder Filmen. Ich bin in München Mitglied im Fotoclub Blende1, wo ich viel Feedback, immer wieder neue Techniken lerne und Anregungen bekomme.
Wie bist du auf Dosenfotografie gekommen?
2010 war ich in New York. Im MOMA sah ich Fotos des Münchners Michael Wesely. Diese Fotos hatten Belichtungszeiten von bis zu drei Jahren und ich wollte es nicht glauben, dass so etwas möglich ist. Zurück in Deutschland habe ich im Netz recherchiert und selber mit Lochkameras und Filtern experimentiert, aber ich erzielte nicht annähernd brauchbare Ergebnisse. Schließlich fand ich auf einigen amerikanischen Fotoplattformen dann Bilder mit Belichtungszeiten von einem halben Jahr. Sogenannte Solargrafien. Das führte mich weiter zu Tarja Trygg, der die Seite www.solargraphy.com betreibt. Damit konnte ich dann endlich etwas anfangen. Und es konnte ans Basteln gehen.
Warum wird das überhaupt gemacht, was ist der Ursprung dieser Technik?
Soweit ich das gelesen habe, kommt diese Technik aus der Astronomie. Man kann damit die Sonnenbahnen vom Sonnenhochstand am 21.06. bis Sonnentiefstand am 21.12. dokumentieren. Diese Bilder findet man auch sehr häufig als reine Dokumentation, wenn man den Begriff “solargraphy” bei Google eingibt.
Wie genau funktioniert Dosenfotografie?
Genau genommen bedient sich die Solargrafie (Dosenfotografie) der Urform der Fotografie, der Camera Obscura oder Lochkamera. Es wird also nur eine lichtdichtes Gefäß, ein kleines Loch und lichtempfindliches Material benötigt.
Kannst du uns erklären, was bei der Umsetzung beachtet werden muss?
Fangen wir bei der Dose an. Grundsätzlich kann man auch traditionelle Lochkamerakisten verwenden. Eine Dose hat den Vorteil, dass das Fotomaterial später halbrund in der Dose liegt und somit einen Weitwinkel erzeugt. Ein Weitwinkel hat den Vorteil, dass die Sonne von Aufgang bis Untergang in die Dose scheint und man somit viel mehr Sonnenbahnen später auf dem Bild hat. Ein Durchmesser von ca. 50mm erzeugt einen Blickwinkel von nahezu 180°. Man kann den Durchmesser auch variieren und erhält dann eben einen anderen Blickwinkel. Da heißt es experimentieren und für sich den schönsten finden. Da wir in Deutschland eher feuchtes Klima haben, sollte man eine Dose haben, die wasserdicht ist oder man befestigt die Dose unter einem Dach. Die wasserdichteste Variante ist die Baumarktvariante. In der Sanitärabteilung findet man in den Durchmessern 50mm, 70mm, 100mm, sogenannte Muffenverbindungen. Dazu gibt Muffenstopfen zum Verschließen. Die Lage des Loches in der Dose wirkt sich auch auf das Bild aus. Zu empfehlen ist das obere Drittel der Dose, da man so mehr Himmel auf Bild bekommt und somit auch mehr Sonnenbahnen.
Das Loch: Eine Regel sagt, je kleiner und runder das Loch, umso besser die Ergebnisse. Es gibt im Netz gelaserte Löcher zu kaufen in allen Größen. Aber ich finde, wenn man alles selber bastelt, dann auch das Loch. Es gibt einen genialen Trick, den ich aus einem Forum habe, um ein nahezu rundes, gratfreies Loch selber zu machen. Man nehme eine Getränkedose, schneide ein kleines Stück vom Blech aus, nehme eine Nähnadel und einen kleinen Hammer. Setze die Nadel in die Mitte des Bleches und schlage nur ganz leicht auf die Nadel. Es entsteht eine kleine Beule im Blech ohne dass die Nadel durch sticht. Sollte die Nadel schon etwas durch sein, auch nicht schlimm. Mit einem sehr feinen Sandpapier schleift man nun auf der Innenseite ganz leicht etwas von der Beule weg und erhält ein kleines Loch. Die empfohlenen Durchmesser werden in verschiedenen Bauanleitungen mit 0,2mm bis 0,4mm angegeben. Aber ehrlich, wer kann das schon messen. Auch hier wieder ein Trick. Ich habe eine Nadel mit 0,5mm. Stand so am Nähkästchen. Habe ich die Beule etwas abgeschliffen, stecke ich die Nadel ins Loch. Die Hälfte der Spitze ist dann etwa 0.25mm. Sollte die Spitze nicht bis zur Hälfte reingehen, dann drehe ich die Nadel leicht bis sie bei der Hälfte ist. Für die Bauanleitung der Dosen gibt es mittlerweile viele Anleitungen im Netz.
Jetzt wird es ernst: Für das spätere Bild benötigen wir nun Fotopapier. Viele Solargrahen schwören auf das Ilford Multigrad IV, weil es sehr kontrastreich ist und schöne Farben erzeugt. Richtig, es entstehen auf S/W-Papier farbige Bilder. Man kann grundsätzlich jedes S/W Fotopapier nehmen und alle haben andere Eigenschaften. Mattes Papier erzeugt weichere Bilder ohne Spiegelungen. Glanzpapier erzeugt oft Spiegelungen der Sonnenbahnen, was aber auch sehr reizvoll sein kann. Hier heißt es experimentieren mit verschiedenen Papieren, die man sehr häufig für wenig Geld bei Auktionen oder Fotobörsen kaufen kann. Auch kann man bei Fotolaboren nach abgelaufen Papieren fragen und nicht selten bekommt man sie einfach geschenkt. Es gehen auch sehr alte Papiere. Ich selbst nehme sehr oft ein 30 Jahre altes Orwopapier, was geniale Farbverläufe hat.
Das Papier kommt nun in die Dose. Halbrund ohne das Loch zu verdecken. Das sollte man natürlich im Dunkeln machen. Ein klein wenig Rotlicht kann man dazu benutzen. Das Loch klebt man am besten von außen mit einem schwarzen Isoband ab. Den Rest der Dose gut verkleben. Damit ist die Kamera fertig.
Motivwahl und Befestigung: Idealerweise sollte die Kamera nach Süden ausgerichtet sein, was mit einem Kompass sehr gut funktioniert. Ich nehme dazu immer das iPhone. Der Stichtag für ein halbes Jahr Belichtung ist der 21.06. oder 21.12, da man an den Tagen den Hoch-bzw. Tiefstand der Sonne hat. Für ein ganzes Jahr Belichtung ist es egal, wann man die Dosen aufhängt. Dann sollte man ein zentrales, großes Motiv suchen. Ich habe für meine Münchenserie einfach die Sehenswürdigkeiten genommen. Und via Google Earth geschaut wo ich das Motiv südlich sehe. Dann bin ich hingefahren um zu schauen, ob man dort irgendwas für die Befestigung der Dosen findet. Daheim muss man sich dann Gedanken über die Tarnung machen. Da ich in der Stadt die meisten Dosen an Schildern befestigt habe, mussten die Dosen silbern und schwarz sein um nicht aufzufallen. Auf dem Land ist das einfacher. Im Baum oder an Holzmasten ist eine Tarnung einfacher. Für die Befestigung an Schildern habe ich starke Neodym-Magnete verwendet. Sonst verwende ich Kabelbinder. Aber Achtung, Kabelbinder sollten UV-beständig sein. Es gibt das so grüne im Gartenhandel.
Hängen die Dosen, beginnt die schwerste Zeit. Man braucht sehr, sehr, sehr viel Geduld. Ein halbes Jahr, oder ein ganzes Jahr zu warten für ein Bild ist wirklich schwer. Man sollte sich auch nicht entmutigen lassen, wenn mal eine Dose weg ist. Ich habe in München für die Serie 24 Dosen aufgehängt und an Ende waren noch 12 da. Also Schwund gibt es immer. Deswegen immer mehrere Dosen aufhängen.
Hat man dann ein halbes oder sogar ein ganzes Jahr gewartet und die Dose ist noch da, geht es an die Ernte. Man verschließt das Loch wieder mit Isoband und daheim bereitet man seinen Computer auf den Scanvorgang vor. Die Vorbereitung ist sehr wichtig, da man nur einen Scanvorgang hat. Macht man hier was falsch ist das Bild futsch. Ich bereite den Scanner wie folgt vor. Da ich weiß wie groß etwa das Bild ist, nehme ich mir ein Buch, lege es auf den Scanner, mache einen Prescan und lege nur das Buch als Scanbereich fest. Die Auflösung lege ich auf bei kleineren Formaten (3-5cm) auf 1300dpi fest. Bei größeren Formaten kann man bis auf 800dpi runter gehen. Dann im abgedunkelten Raum die Dose aufmachen und schnell das Papier mit der Motivseite auf den Scanner, Buch drauf damit es plan liegt und schnell scannen. Durch die starke Lichtquelle des Scanners wird das Papier belichtet und das Motiv verliert sofort an Kontrast. Also man hat nur eine Chance auf einen guten Scan. Im Rechner hat man nun das Negativ, was in einem Bildbearbeitungsprogramm positiviert und etwas bearbeitet werden kann. Man sollte bei manchen Bildern den Kontrast etwas erhöhen und auch die Farben etwas puschen. Es kommt aber immer auf das Bild an. Jedes Bild ist anders und individuell. Regeln gibt es da nicht wirklich ……
Was ist so faszinierend an der Solargraphy?
Es gibt einen schönen Satz von einem Solargraphen, der das gut beschreibt.
“Es ist jedes Mal wie Magie….Du öffnest nach Monaten die Dose, weißt nicht was dich erwartet, scannst es ein und zerstörst damit das fragile, kurzlebige Werk, welches das Licht für Monate eingefroren hat.”
Als Tipp, für all jene, die es einfach mal probieren wollen:
Die schnellste und einfachste Lösung fürs Ausprobieren ist die Getränkedosenvariante, hier ein Video. Man muss zum Testen nicht gleich ein halbes Jahr warten. Mein erster Test war 1 Monat und man konnte schon richtig was anfangen mit dem Bild. Nicht entmutigen lassen und experimentieren mit verschiedenen Dosen und Papieren. Es wird alles belohnt mit sehr speziellen Bildern und Bewunderung der Leute, die man damit konfrontiert. Bei einer Ausstellung der Bilder hier in München erntete ich nur Bewunderung als ich mit meinem 3 Euro Kameraprototyp erklärte wie die Bilder entstanden sind.
Vielen Dank für das Interview!
Weitere Bilder von Jens findest du in seinem Lomo-Home lomuc.
geschrieben von chvo am 2015-10-07 in #Menschen #Anleitungen #pinhole #tipster #camera-obscura #solargraphy #dosenfotografie
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